Figuren, egal welche Bedeutung sie innerhalb der Geschichte haben, sind die Handlungsträger. Die Handlung wird also in erster Linie von den Figuren getragen. Damit erlangen sie eine Wichtigkeit, die durchaus immer wieder unterschätzt wird. Neben den typischen Hauptfiguren (Protagonist und Antagonist) gibt es auch stets eine Reihe an Nebenfiguren, wenn man einmal von der Kurzgeschichte absieht (zumindest manchmal). Es mag auch mehr als die beiden Hauptfiguren geben, auch mögen im Laufe der Geschichte die Rollen der Figuren sich verändern. Dennoch sind sie es die den Leser an die Geschichte binden. Und weil diese beiden Dinge, die Bindung des Lesers und die Handlung, essentiell sind, sollte sich ein Schriftsteller mit den Figuren beschäftigen. Ich versuche nun zwei meiner Figuren aus sehr unterschiedlichen Stoffen zu beschreiben und ihren Werdegang erzählen. Wie ihre Entwicklung von Statten ging und warum ich sie so entwickelt habe.
Marc Z. Ruben: Die Hirnfresser kommen
Figur: Sarah
Sie taucht zuerst einmal als Nebenfigur für den Leser auf. Der Kampf ihres Mannes gegen einen Zombie, sie dahinter, irgendwie wehrlos. Phil, zu diesem Zeitpunkt schon eine Hauptfigur, rettet sie. Dann verändert sich Sarah für den Leser, rückt immer mehr in den Fokus, wird aktiver, wichtiger und zu guter Letzt ist sie sicherlich eine zentrale Figur für die Gruppe in Bad Dürkheim.
Wie nun habe ich sie entwickelt? Ich bin zum großen Teil ein Discovery Writer, meine Figuren werden nur ganz grob entwickelt, manchmal gibt es nur einen Namen, Alter, Geschlecht. Aussehen und alles weitere kommt dann im Text hinzu und wird im Nachgang in meine Personendatenbank kopiert (Danke Papyrus Autor). Das ist dank der Hyperofficelinks im Text auch sehr simpel. Aber eben nicht immer mache ich das so. Sarah entstand aber genau so. Sie war zuerst einmal nur eine, durchaus mit Klischees besetzte, Frau, die sich dann aber gewandelt hat. Wobei sich der Leser sicherlich bald die Frage gestellt hat, war sie diese Frau, die er zu Anfang kennen lernte wirklich so wie es den Eindruck machte? Wenn Leser zurückblättern und sich die erste Szene noch einmal durchlesen, werden sie erkennen das dem nicht so ist. Der Schock zu sehen wie ihr Mann aufgefressen wird, wie sie ihn, trotz ihrer Stärke, nicht retten kann und vermutlich auch gestorben wäre. Dieser Schock bremste sie notgedrungen aus. Doch dann findet sie sich wieder. Sarah ist von mir sehr wenig geplant worden. Es war klar, dass ich Phil jemanden zur Seite stellen muss, damit es keine One-Man-Show wird. Doch viel mehr als die anfänglichen Dinge sind bei ihr nicht entwickelt worden. Warum? Nun sie war nicht als Hauptfigur gedacht, hat sich aber dahin entwickelt, ich habe gefallen an ihr gefunden und sie wird noch einige wichtige Parts in Die Hirnfresser kommen haben. Doch dies ist nicht immer die Art und Weise wie ich Figuren in eine Geschichte bringe.
Ole Morsen: Reptilienmann
Figur: Hanna Nyberg
Der Leser lernt Hanna Nyberg schnell kennen, ist sie doch eine wichtige Figur im oben genannten Thriller. Die junge Frau ist neu im Dezernat und wird mit zwei erfahrenen Ermittlern zusammengesteckt. Schnell findet sie ihre Rolle in dem Ermittlerteam und sie wird wertvoll für ihre Kollegen.
Hanna habe ich geplant, ich weiß wo sie geboren wurde, ich kenne ihre Eltern, ihren Exfreund, ihre nächsten Verwandten. Ihre Vorlieben und Dinge die sie weniger mag. All das ist geplant und macht es mir, beim Schreiben des Thrillers, deutlich einfacher voranzukommen. Dadurch ergeben sich Ankerpunkte in der Geschichte die es mir erleichtern von einem zum nächsten zu kommen. Ich könnte also schon heute sehr genau sagen was sie im zweiten Stockholm Thriller erleben wird, aber auch was sie im dritten tun wird, oder um es auf die Spitze zu treiben, ich weiß ganz genau was sie in jedweder Situation tun würde, ich kenne sie sozusagen. Das ist im Gegensatz zu Sarah (siehe oben) vollkommen anders. Beides funktioniert für mich. Ich hatte mich gefragt, als ich mit dem Reptilienmann angefangen habe, ob ich die verschiedenen Figuren vorher ausarbeiten soll oder sie eben während des Entstehungsprozesses der Geschichte entwickle. Entschieden habe ich mich für die Ausarbeitung der Figuren. Sehr bewusst, da ich nun mit deutlich mehr Tempo an die Story gehen konnte. Bei Hanna war das auch gut so, da sie während der Geschichte unheimlich viel erfährt und erlebt. Was nun natürlich beim zweiten Stockholm Thriller mit einfließen wird. Doch auf der anderen Seite werden dort auch Dinge mit einfließen, die ich zuvor entwickelt habe.
Warum zwei verschiedene Methoden?
Die Frage könnte ich schnell beantworten, aber ich lasse mir Zeit. In der Serie Die Hirnfresser kommen sind die meisten (tatsächlich nicht alle) Figuren mit wenig eigener Vorgeschichte ins Rennen gegangen. Ihre Beweggründe für Handlungen sind mir also zuerst einmal fremd. Das halte ich in der Serie auch für richtig und wichtig. Denn es gibt mir in dieser Serie den Spielraum den ich brauche, um immer wieder auch für Überraschungen zu sorgen. Doch der Leser soll diese Überraschungen, auch im Nachgang, wenigstens verstehen. Das ist die Herausforderung in dieser Serie, ich glaube es bisher ganz gut hinbekommen zu haben, doch ich bin mir sicher, dass da noch der eine oder andere Handlungsbedarf besteht. Es gibt aber einen, alles entscheidenden Grund, für mich, es bei der Serie so zu tun. Ich will die Geschichten dieser Leute erzählen. Und da kommen wir zum Reptilienmann. Klar auch hier sollen die Figurengeschichten erzählt werden, doch in erster Linie ist es ein Thriller. Das heißt für mich in erster Linie eines, die Story muss schnell sein, sie muss mitreißen und packen, auf keinen Fall darf sie loslassen. Im Endeffekt habe ich also keine Zeit die Geschichte der Figuren haarklein zu erzählen, ich reiße die Punkte, die wichtig sind, also zu dem Zeitpunkt an, zu dem sie wichtig sind. Gebe also ganz bewusst kurze Hinweise. Damit aber ich als Autor diese Figuren lenken kann, ihre Entscheidungen am Ende schlüssig und nachvollziehbar sind, muss ich wissen wie sie denken, wie sie handeln und wie sie fühlen. Das ist der entscheidende Unterschied. Beides geht also für mich.
Was nun besser ist?
Das kommt sehr darauf an. Wie schon angedeutet geht beides. Für mich ist keine der Methoden besser oder schlechter, wenn ich mir aber den Zweck der Figuren ansehe sieht das anders aus. In der Serie will ich eine deutlich intensivere Bindung der Figuren mit dem Leser erreichen, der Leser soll sich seine liebsten Charaktere raussuchen und das geht nur, wenn er ihre Geschichte bis ins Detail kennt und das setzt voraus, dass ich sie kenne, aber auch das sie sich im Laufe der Geschichte weiterentwickeln und verändern kann. Daher ist der Rahmen wichtig, aber nicht die Details. Beim Thriller ist mir die Bindung zwar auch wichtig, doch die wird schon allein durch die Rollen wesentlich festgelegt. Der Leser wird sich also mit dem Ermittlerteam anfreunden, zumindest ist das meine Prognose. Allein durch ihre zentrale Rolle muss die gesamte Vorgeschichte aber für mich existieren. Nur so kann ich Dinge einfließen lassen, die sich am Ende zu einer Geschichte zusammenfügen. Das ist der feine Unterschied.