Die Überschrift eines Textes

Gespeichert von matthias am Mi., 15.04.2020 - 08:14

Irgendwie, aber das wissen Autorinnen und Autoren sehr wohl, ist die Überschrift ein schweres Ding. Sehr häufig werden Texte wegen der Überschrift gelesen oder eben nicht. Es muss also eine Überschrift sein, die sofort fängt. Neben dem Titelbild, welches das Auge zuerst einfängt, ist der Titel die entscheidende Kraft ob ein Buch gekauft wird oder nicht. Ein Beispiel, ich habe eine Kurzgeschichte geschrieben, in der es um die Rache einer Frau an ihren drei Peinigern geht. Es ist am Ende so, dass sie die drei ermorden will, jetzt wo sie alt genug und erwachsen ist. Rache der ... oder Sie rächt ihre Pein, wären nette, sogar passende Titel für diese Kurzgeschichte gewesen. Sehr offen und klar, was den Lesenden erwartet. Doch das war mir nicht gut genug. Die Geschichte ist kurz, warum sie die Tat begeht wird nicht einmal verraten, dem Lesenden gebe ich es zur Aufgabe das selbst herauszufinden. Mehr oder minder steht es dort zwar, aber so kurz, dass vermutlich ein zweites Lesen der Kurzgeschichte erforderlich ist. Die beiden oben erwähnten Titel wären nun tatsächlich eine große Hilfe für den Lesenden gewesen. Aber das würde mir als Autor die Chance nehmen das zu erreichen, was ich erreichen will, die Gedanken nach dem Ende der Kurzgeschichte. Daher heißt diese Kurzgeschichte nun auch Amazing Grace. Ja dieser Titel lockt, das Lied ist den meisten Menschen bekannt, warum dieses Lied eine Rolle spielt wird im Text auch erwähnt, es passt zudem perfekt zur Geschichte. Nun ausgerechnet dieses Lied in eine Kurzgeschichte zu packen, die blutig und ohne ein Gefühl von Reue bei der Tat ist, mag für manche geschmacklos erscheinen, für mich war es der perfekte Tabubruch. Und das zeichnet den Titel in diesem Beispiel aus. Spielt bewusst und mit Absicht mit Tabus beim Titel. Lasst eure Lesenden durchaus merkwürdig staunen, was sich hinter diesem Titel verbrigt.
Viele werden sich nun fragen "Moment, das passt für meine Geschichte gar nicht", dann lasst es. Tabus sind nicht in jeder Geschichte zu brechen, vielmehr im Titel der Geschichte. Manchmal muss es auch im Fluss sein. Daher ein zweites Beispiel. Meine Kurzgeschichte Das Mandelzweigbild ist eine, wie mir versichert wurde, nette, kleine, feine Liebesgeschichte. Der Titel ist weder ein Tabubruch, noch spektakulär, eher einfach. Doch das Bild taucht erst später im Text auf. Die Lesenden haben also den Titel im Kopf und fragen sich zurecht, was es mit diesem Bild auf sich hat. Die Lösung kommt zwar dann bald, doch es bleibt eine Frage, welche am Ende gelöst wird. Mit einem Mal ergibt der Titel einen Sinn. Diese Art des Titels wird ich als Aufgabe beschreiben die ich dem Lesenden mitgebe. Er oder sie muss diese Aufgabe, die er/sie sich gar nicht bewusst stellt, lösen. Der Titel gibt den Hinweis auf ein wichtiges Detail der Geschichte, in diesem Falle das Mandelzweigbild. Doch warum ist es so wichtig? Was steckt hinter diesem Bild? Die vermeintliche Lösung wird in der Mitte des Textes, scheinbar, gelöst. Nur um dann am Ende des Textes mit einer interessanten Wendung dafür zu sorgen, dass es eine andere Lösung für dieses Bild, und damit den Titel des Textes, gibt.
Der Titel kann also durchaus entscheiden ob ein Text gelesen wird, wie bei Amazing Grace, er kann aber auch wichtig für das Erlebnis beim Lesen sein, wie bei Das Mandelzweigbild. Es gibt also, auch bei der Wahl des Titels, nicht die eine Antwort.